Schön mit Darm - Der Darm und Entzündungen
I´M ON FIRE – Der Darm und Entzündungen
Dass unser Körper kämpft und sich bemüht, die Eindringlinge loszuwerden, merken wir an den Halsschmerzen, die uns kaum einen Schluck Wasser hinunterbringen lassen, den pochenden Schmerzen, wenn Bakterien ins Mittelohr gelangt sind oder auch an der Hand, die nach einem Wespenstich rot, dick und heiß wird. Diese kurzen und meist heftigen Entzündungsausbrüche sind wichtig und zeigen, dass unser Immunsystem über gute Verteidigungsstrategien und eine schlagkräftige Abwehrtruppe verfügt. Meist kann der feindliche Angriff erfolgreich abgewehrt werden, und nach wenigen Tagen sind wir wieder fit und Schmerzen und Entzündungen Geschichte.
Doch bei Allergien, Ekzemen, Schuppenflechte und anderen Hautkrankheiten sind die Abwehrkräfte auf dem „Holzweg“. Entweder kämpfen sie mit aller Entschlossenheit gegen harmlose Blütenpollen, Tierhaare und Nahrungsmittel, oder das Immunsystem erkennt die körpereigenen Hautzellen nicht mehr als solche und richtet seine ganze Kraft gnadenlos gegen den eigenen Organismus. Zudem gibt es – wie bei einem Auto – auch im Immunsystem Gas und Bremse. Um sicher durch den Straßenverkehr zu kommen, muss man beides gezielt einsetzen. Das gilt auch für unsere Abwehrkräfte. Doch bei manchen Hauterkrankungen gibt das Immunsystem zu viel Gas – oder es steht dauernd auf der Bremse.
Und auch unsere Steuermänner im Gedärm können Gas geben oder bremsen – je nachdem, was die individuelle Situation verlangt. Denn zu vielfältigen Mikrobiota gehören sowohl Bakterien, die Entzündungen hemmen als auch solche, die diese anfachen können – dadurch tragen sie zu einer gesunden Entwicklung des Immunsystems und zu einer Balance der pro- und anti-entzündlichen Prozesse bei.
Erstaunlich ist, dass der Entstehung von Erkrankungen und Entzündungen häufig ein Rückgang der bakteriellen Vielfalt vorausgeht. So lässt sich bereits Wochen, Monate oder gar Jahre vor Ausbruch der Krankheit feststellen, dass der Mikrobenmix eintöniger wird oder sich bestimmte ungünstige Keimstämme ausbreiten und andere, schützende Mikroorganismen verdrängen. Diese Zusammenhänge konnte man unter anderem bei Neurodermitis, Allergien und Diabetes feststellen. Auch alte Menschen werden gebrechlicher, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Seniorenheime übersiedeln müssen, steigt, sobald die blühenden Bakterienlandschaften in ihren Gedärmen zu langweiligen Monokulturen verkommen.
Die gemeinsame Aussage der mehr als 40.000 in den vergangenen Jahren veröffentlichten Studien lautete deshalb: Eine vielfältige Darmflora ist in jeder Phase des Lebens enorm wichtig! Wenn es gelingt, eine Störung der Darmflora, eine sogenannte Dysbiose, zu beseitigen, stehen deshalb die Chancen nicht schlecht, dass auch Hautkrankheiten abheilen. Wie Du gesundes Leben in deinen Darm bringen kannst, erfährst Du in Kapitel 6 des Buchs "Schön mit Darm".
Und wenn im Darm mal nicht alle Mikroorganismen „an einem Strang ziehen“, dann kann man die Gruppe der günstigen Keime mit sogenannten probiotischen Bakterien stärken. Dazu zählen zum Beispiel Milchsäure- oder Bifidobakterien. In einigen Fällen lassen sich nachweisbare Effekte schon durch die An- oder Abwesenheit eines einzelnen Bakterienstamms erzielen – das zeigt die große Bedeutung jeder einzelnen Mikrobe. So ließen sich in einem Tierversuch alleine durch die Gabe des Keims Bifidobacterium infantis oder durch Milchsäurebakterien (Lactobacillus rhamnosus) Entzündungen wirkungsvoll verhindern.
Welche Probiotika im Einzelfall sinnvoll sind und welche bei bestimmten Erkrankungen nicht helfen, erfährst Du auf den nächsten Seiten. Eine Gemeinsamkeit haben aber fast alle probiotischen Bakterien: Sie sind in der Lage, Entzündungen im Organismus unter Kontrolle zu halten.
Microben-Security
Bakterien sind keine Einzelkämpfer, sondern arbeiten auf komplexe und vielfältige Weise zusammen und meistens auch in unserem Sinn. Doch hin und wieder landen bei dem regen Keimaustausch mit unserer Umgebung auch mal üble Gesellen auf unserer Haut oder im Darm. Wenn dann ein Kampf zwischen den Alteingesessenen und den Fremdlingen entbrennt, ist es wichtig, dass unsere Mikroben-Security auf Zack ist und die Eindringlinge schnell in die Flucht schlägt. Indem sich das Mikrobiom unseres Körpers gegen Eindringlinge verteidigt, schützt es auch uns, seine Wirte.
Für die Verteidigung von Haut und Darm haben sich die Keime mehrere Strategien einfallen lassen:
Die „Ungemütlich-Strategie“:
In einer zugigen Bahnhofskneipe verweilen wir nicht länger als nötig, in einem gemütlichen Restaurant bleiben wir hingegen gerne noch etwas sitzen. Den Keimen geht es da ähnlich: Sie sorgen selber für ein Klima, das ihnen gefällt, fremden Eindringlingen aber kalte Schauer über den Rücken jagt. So können einige Bakterienarten, wie zum Beispiel die Propionibakterien, Talg in Fettsäuren verwandeln und dadurch den Säureschutzmantel der Haut stärken. Im Darm produzieren Lactobazillen Milchsäure und lassen den Darm ebenfalls schön sauer werden. Denn ein „saures Milieu“ ist für unsere nützlichen Keime gleichbedeutend mit „Wohlfühloase“. Lactobazillen, Bifidobakterien, Propionibakterien und deren Kumpels sind zudem unglaublich sozial eingestellt gegenüber ihren Artgenossen, aber unerbittlich im Kampf gegen unerwünschte Gäste. Sie sorgen dafür, dass wir Menschen zu einem gemütlich sauren Ort werden, wo sich befreundete Keime gerne länger aufhalten. Schädliche, unerwünschte Mikroorganismen werden hier jedoch nicht heimisch.
Die „Antibiotika-Strategie“:
Nicht nur wir Menschen setzen keimtötende Antibiotika ein, um die Keimzahl gering zu halten. Auch die Bakterien tun das. Haut- und Darmkeime können verschiedene antimikrobielle Eiweißstoffe, sogenannte Bacteriocine, bilden, um sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Mikroorganismen zu sichern und Invasoren zu dezimieren. Man schätzt, dass 99 Prozent der Keime mindestens einen dieser chemischen Abwehrstoffe produzieren, mit deren Hilfe sie eine für fremde Mikroorganismen schwer zu durchdringende Barriere aufbauen können. Vor allem Keime, die Hautentzündungen verursachen, lassen sich durch das Auftragen bakterieller Abwehrstoffe verdrängen und Hautkrankheiten lindern. Aber auch Darm- und Hautzellen verfügen über schwere Geschütze, denn auch sie produzieren Eiweiße, sogenannte Defensine, die Bakterien durchlöchern können. Doch wie bei einem Medikament hängt auch hier der Effekt von der Dosierung ab. Werden zu viele dieser bakterien- und körpereigenen Chemiewaffen produziert, leiden die Betroffenen zwar seltener unter Hautinfektionen, aber häufiger unter Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris). Mangelt es hingegen an den antibakteriellen Wirkstoffen in der Haut, steigt die Neigung zu Neurodermitis an, und die Haut wird schnell von unerwünschten Entzündungskeimen wie dem Staphylococcus aureus besiedelt. Auch das zeigt wieder, wie wichtig eine ausgeglichene und in ihrer Zusammensetzung ausgewogene Darmflora für uns Menschen ist.
* Die „Schon besetzt-Strategie“:
Ist der Bus voll, lässt der Busfahrer keine weiteren Fahrgäste mehr zusteigen. Sind Haut und Darm dicht mit schützenden Keimen besiedelt, finden Bakterien, die auf diesen Menschen „aufspringen“ wollen, keinen Dauerplatz und steigen wieder aus. Eine gesunde Flora bietet quasi eine Schutzschicht, eine Biobarriere, die unerwünschte Keime fernhält. Gefährlich wird es jedoch, wenn zum Beispiel durch die Einnahme von Antibiotika oder Abführmitteln plötzlich viele Plätze frei werden. Schnappen wir dann an der nächsten „Haltestelle“ die Mitglieder einer üblen „Bakteriengang“ auf, machen sich diese in unserem „Darmbus“ breit, und eher schüchterne nützliche Keime suchen dann schnell das Weite.
Die „Nix zu essen-Strategie“:
Nicht nur wir Menschen benötigen täglich was zu futtern, auch Bakterien brauchen Nahrung, um zu leben. Die Hautflora hält sich an die Nährstoffe, die im Talg und Schweiß der Haut reichlich vorkommen. Bei Milchsäure, Fetten und Harnstoff läuft den Hautmikroben das Wasser im Mund zusammen. Wenn wir uns täglich ausgiebig duschen oder gar regelmäßig heiß baden und unsere Hautoberfläche völlig von Talg und Achselschweiß befreien, räumen wir damit auch den Bakterien ihren zuvor reich gedeckten Tisch ab. Leben wir hingegen nicht übertrieben hygienisch, danken uns das die Mikroorganismen, indem sie nach jeder Mahlzeit eifrig saure Stoffe produzieren und die Haut zu einem ungemütlichen Ort für feindliche Bakterien machen. Unsere Darmkeime gewinnen ihre Energie aus präbiotischen Ballaststoffen, das sind schwer verdauliche Pflanzenfasern. Wenn wir genug davon verzehren, dann geht es auch unseren Buddies in der Körpermitte gut. Unerwünschte Krankheitserreger können mit dieser Energiequelle aber so gar nichts anfangen und verhungern sozusagen vor vollen Töpfen.
Die „Schulungs-Strategie“:
Sowohl auf der Haut als auch im Darm stehen die Keime in engem Kontakt mit den Immunzellen. Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass eine gesunde Hautflora modulierend auf die Aktivität der Abwehrzellen in der Haut einwirkt. Bestimmte Keime sind in der Lage, den Abwehrzellen Dampf zu machen und sie zur Produktion von Abwehrstoffen gegen feindliche Hautbesiedler anzuregen. Ändert sich die Zusammensetzung der Hautkeime bei Hauterkrankungen wie etwa Neurodermitis, scheint das den Verlauf der Krankheit ungünstig zu beeinflussen. Auch die Darmflora ist für das körpereigene Immunsystem unerlässlich. Das Hauptquartier der Abwehrkräfte befindet sich im Gedärm. Ihre ständige Konfrontation mit Keimen bewirkt, dass die Abwehrkräfte stets wachsam bleiben. Da die Immunzellen nicht fest im Darm „stationiert“ sind, sondern durch den Körper wandern und auch andere „Abwehrstationen“ wie die Lymphknoten besuchen, werden die Informationen weitergereicht.